Zwei Jungen hockten wie jeden Tag auf der niedrigen Mauer nahe dem Stadttor von Velaran. Ihre Blicke glitten prüfend über die Menge, suchten nach Beuteln, schlecht geschnürten Taschen, Unachtsamkeit.
Der ältere von beiden, schmal gebaut mit einer Narbe über der Lippe, bemerkte sie zuerst.
„Die da“, murmelte er und stieß seinen Gefährten mit dem Ellenbogen an. „Sie ist… komisch.“
Tiro reckte neugierig den Hals. „Die mit der Kapuze? Sieht aus wie alle anderen. Willst du sie oder nicht?“
„Ich wollte. Ehrlich. Ihre Tasche hängt lose. Leichtes Spiel. Aber…“
Er stockte. Irgendetwas an der Frau hielt ihn zurück. Sie bewegte sich ruhig, zielgerichtet, aber nicht vorsichtig. Ihre Schritte klangen, als würde sie den Weg nicht suchen – sondern ihn kennen. Sie sah niemanden an, aber es fühlte sich an, als würde sie alles sehen.
Tiro schnaubte. „Wirst weich, oder was?“
„Vielleicht. Keine Ahnung. Als ob sie mich schon kennt. Ohne mich anzuschauen.“
Der Jüngere grinste spöttisch. „Wenn du nicht willst, geh ich.“
Doch der Ältere packte ihn am Ärmel. „Lass sie. Die bringt Ärger. Ich spür’s.“
Er wusste nicht, woher dieses Gefühl kam. Nur, dass es sich festgesetzt hatte. Tiefer als Angst. Schwerer als Misstrauen.
Diese Frau kam nicht zum Handeln. Sie brachte etwas mit sich. Etwas, das selbst die Schatten von Velaran innehalten ließ.
Schatten über Velaran – Band 1 der Chroniken von Amara Hadran